Mittwoch, 2. Juli 2014

Buchauszug: Michel Chossudovsky: Global brutal - Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg

Dieser Beitrag gibt einen Einblick in Michel Chossudovskys Buch "Global brutal - Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg" und zeigt die fürchterlichen Folgen der Finanzpolitik von IWF, Weltbank und WTO auf. Das Buch beschreibt in einem nüchternen Stil die dramatischen Entwicklungen unter dem Deckmantel der Globalisierung und verknüpft scheinbar einzelne Ereignisse miteinander. Ein Meisterstück der Globalisierungskritik! Nachfolgend die komplette Einleitung des Buches.



Die Menschheit ist nach der Ära des Kalten Krieges in eine wirtschaftliche und soziale Krise beispiellos rascher Verarmung großer Teile der Weltbevölkerung gestürzt. Ganze Volkswirtschaften brechen zusammen, Arbeitslosigkeit nimmt überhand. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, in Asien und Lateinamerika sind regionale Hungersnöte ausgebrochen. Diese Globalisierung der Armut – die die Errungenschaften der Entkolonialisierung nach dem Krieg weitgehend umgekehrt hat – begann in der Dritten Welt zusammen mit der Schuldenkrise der frühen 80er Jahre und der Durchsetzung der mörderischen Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Die Neue Weltordnung nährt sich von menschlicher Armut und der Zerstörung der natürlichen Umwelt. Sie schafft soziale Apartheid, schürt Rassismus und ethnische Kämpfe, sie höhlt die Rechte von Frauen aus und stürzt häufig Länder in zerstörerische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen. Seit den 90er Jahren hat sie ihren Zugriff auf alle großen Weltregionen ausgedehnt, einschließlich Nordamerikas, Westeuropas, der Länder des ehemaligen Ostblocks sowie der neuen Industrienationen Südostasiens und des Fernen Ostens.
Diese weltweite Krise ist vernichtender als die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre. Sie hat weitreichende geopolitische Auswirkungen: Die wirtschaftlichen Verwerfungen werden begleitet von regionalen Kriegen, dem Auseinanderbrechen von Nationalstaaten und in einigen Fällen der Zerstörung ganzer Länder. Es ist bei weitem die schwerste Wirtschaftskrise in der modernen Geschichte.

Die Rezession nach dem Kalten Krieg. 
In der ehemaligen Sowjetunion war der wirtschaftliche Niedergang seit 1992 gravierender als der, den das Land im Zweiten Weltkrieg erlitten hatte – direkte Folge der tödlichen »Medizin« des IWF. Nach der Vollbeschäftigung und relativen Preisstabilität der 70er und 80er Jahre schoss die Inflation in die Höhe, Realeinkommen wie Beschäftigung brachen zusammen und die Gesundheitsversorgung wurde drastisch zurückgefahren. Als Folge haben sich Cholera und Tuberkulose mit alarmierender Geschwindigkeit über weite Regionen der ehemaligen Sowjetunion ausgebreitet.
Dieses Muster in der ehemaligen Sowjetunion wiederholte sich in ganz Osteuropa und auf dem Balkan. Eine Volkswirtschaft nach der anderen brach zusammen. In den baltischen Ländern (Litauen, Lettland und Estland) ging die Industrieproduktion ebenso wie in den Kaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan um bis zu 65 Prozent zurück. In Bulgarien waren die Renten 1997 auf zwei Dollar im Monat gesunken. Die Weltbank räumte ein, dass 90 Prozent der Bulgaren unterhalb der von ihr definierten Armutsschwelle von vier Dollar am Tag lebten. Teile der Bevölkerung in ganz Osteuropa und auf dem Balkan, die kein Geld mehr für Elektrizität, Wasser und Transportmittel hatten, wurden brutal marginalisiert.
In Ostasien war die Finanzkrise von 1997 – gekennzeichnet von spekulativen Angriffen gegen nationale Währungen – in hohem Maße für den Niedergang der asiatischen »Tigerstaaten« Indonesien, Thailand und Korea verantwortlich. Die Stützungsvereinbarungen mit dem IWF unmittelbar nach dem Finanz-Crash führten praktisch über Nacht zu einem abrupten Sinken des Lebensstandards. In Korea wurden nach der »Vermittlung« des IWF – erreicht nach hochrangigen Konsultationen mit den weltgrößten Geschäfts- und Handelsbanken – »jeden Tag im Durchschnitt mehr als 200 Firmen geschlossen… 4000 Arbeitnehmer wurden jeden Tag auf die Straße gesetzt.« Zur gleichen Zeit stürzten die Löhne in Indonesien inmitten gewalttätiger Straßenkämpfe von 40 auf 20 Dollar im Monat; und der IWF bestand auf der Abkoppelung der Löhne vom Preisindex als Mittel, um den Inflationsdruck abzuschwächen.
In China droht durch die Privatisierung oder den erzwungenen Bankrott von Tausenden von Staatsunternehmen 35 Millionen Arbeitnehmern die Entlassung. Nach einer jüngsten Schätzung gibt es in Chinas ländlichen Gegenden 130 Millionen überschüssige Arbeitskräfte. Die Vorhersage der Weltbank von 1990, dass in China mit der Durchführung von »Marktreformen« die Armut im Jahr 2000 auf 2,7 Prozent fallen würde, klingt heute wie bittere Ironie.
In Großbritannien führten bereits während der Thatcher-Ära strenge Sparmaßnahmen zur langsamen Auflösung des Sozialstaates. Die Maßnahmen zur wirtschaftlichen »Stabilisierung«, die der Inflationsbekämpfung dienen sollen, drückten das Einkommen der arbeitenden Bevölkerung und schwächten die Rolle des Staates. Seit den 90er Jahren enthalten die Rezepte, die in vielen Industrieländern der Genesung der Wirtschaft dienen sollen, viele der wesentlichen Zutaten der strukturellen Anpassungsprogramme, die IWF und Weltbank den Ländern in der Dritten Welt und Osteuropa aufzwingen.
Im Gegensatz zu den Entwicklungsländern werden die Reformen in Europa und Nordamerika jedoch ohne die Vermittlung des IWF durchgesetzt. Die Anhäufung großer öffentlicher Schuldenberge in den westlichen Ländern hat den Finanzeliten einen politischen Hebel an die Hand gegeben und sie mit der Macht ausgestattet, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierungen zu diktieren. Unter dem Einfluss des Neoliberalismus sind überall die öffentlichen Ausgaben gestutzt und Sozialprogramme gestrichen worden. Die staatliche Politik betreibt die Deregulierung des Arbeitsmarktes; auf dem Programm stehen die Abkoppelung der Einkommen vom Preisindex, Teilzeitbeschäftigung, Frühpensionierung und die Erzwingung »freiwilligen« Lohnverzichts.
Gleichzeitig werden frei werdende Arbeitsplätze nicht neu besetzt, d.h. die Last der Arbeitslosigkeit wird auf die jüngeren Altersgruppen abgewälzt und mithin einer ganzen Generation der Weg in den Arbeitsmarkt verbaut. Die Regeln des Personalmanagements in den USA lauten: 

»Zerschlagt die Gewerkschaften, bringt die alten gegen die jüngeren Arbeitnehmer auf, ruft Streikbrecher, kürzt die Löhne und die betriebliche Krankenversicherung«.

Seit den 80er Jahren ist ein großer Teil der Arbeitnehmer in den USA aus gewerkschaftlich abgesicherten, gut bezahlten Arbeitsstellen in Niedriglohnjobs abgedrängt worden. Westliche Städte verelenden; die Lebensverhältnisse in den amerikanischen Ghettos und Slums sind in vieler Hinsicht auf das Niveau der Dritten Welt gesunken. Während die offizielle Arbeitslosenrate in den USA in den 90er Jahren sank, stieg die Anzahl der Menschen in niedrig bezahlten Teilzeitjobs sprunghaft an. Sinkt die Mindestlohnbeschäftigung weiter, werden große Teile der arbeitenden Bevölkerung völlig aus dem Arbeitsmarkt verdrängt: »Die wirklich brutale Seite der Rezession trifft im Wesentlichen die Gemeinschaften der neuen Einwanderer in Los Angeles, wo sich die Arbeitslosenzahlen verdreifacht haben und es kein soziales Netz gibt. Die Menschen befinden sich im freien Fall, ihr Leben fällt buchstäblich auseinander wenn sie ihre Niedriglohnjobs verlieren.«
Währenddessen reißt die wirtschaftliche Umstrukturierung tiefe Gräben zwischen den sozialen Klassen und ethnischen Gruppen auf. Das Klima in den großen Metropolen ist von sozialer Apartheid gekennzeichnet und durch die Stadtlandschaften ziehen sich ebenso unsichtbare wie scharfe Trennlinien. Der Staat reagiert mit zunehmender Repression, um die soziale Unzufriedenheit in den Griff zu bekommen und den zivilen Aufruhr zu bändigen.
Die Welle von Firmenzusammenschlüssen, Rationalisierungen und Fabrikschließungen betrifft alle Segmente der Arbeitnehmerschaft, denn die Rezession schlägt auch auf die Haushalte der Mittelklasse und die oberen Einkommensschichten durch. Forschungsbudgets werden beschnitten, Wissenschaftler, Ingenieure und Akademiker werden entlassen, und hoch bezahlte Beamte und Manager der mittleren Ebene werden zwangsweise in den Ruhestand geschickt.
Mittlerweile haben sich die Errungenschaften der frühen Nachkriegszeit durch die Verschlechterung der Arbeitslosenversicherung und die Privatisierung der Pensionsfonds weitgehend ins Gegenteil verkehrt. Schulen und Krankenhäuser werden geschlossen und damit die Bedingungen für eine umfassende Privatisierung der sozialen Dienste geschaffen.

Das Elend der Billiglohnökonomie. 
Die Globalisierung der Armut vollzieht sich in einer Phase schneller technologischer und wissenschaftlicher Fortschritte. Obwohl diese die potentielle Fähigkeit des Wirtschaftssystems enorm erhöhen, notwendige Güter und Dienstleistungen zu produzieren, hat der Produktivitätsschub nicht dazu geführt, die globale Armut zu vermindern. Das weltweite Absinken des Lebensstandards zu Beginn des neuen Jahrtausends ist nicht das Ergebnis einer Knappheit produktiver Ressourcen.
Im Gegenteil: Es sind gerade die Rationalisierung, die Umstrukturierung der Unternehmen und die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer in der Dritten Welt, die zu vermehrter Arbeitslosigkeit und beträchtlich niedrigeren Einkommen der städtischen Arbeitnehmer und der Bauern geführt haben. Diese neue internationale Wirtschaftsordnung nährt sich von Armut und billiger Arbeit. Die hohe Arbeitslosigkeit in den Industrienationen und Entwicklungsländern dient dazu, die Reallöhne zu drücken. Arbeitslosigkeit wird internationalisiert, wobei das Kapital auf der ständigen Suche nach billigerer Arbeit von einem Land zum anderen wandert. Der International Labor Organization (ILO) zufolge sind weltweit eine Milliarde Menschen, fast ein Drittel der globalen Erwerbsbevölkerung, von Arbeitslosigkeit betroffen.
Die Weltarbeitslosigkeit dient als Hebel, um weltweit die Lohnkosten zu regulieren: Weil in der Dritten Welt und dem ehemaligen Ostblock überschüssige Billigarbeitskräfte die Arbeit erledigen können, lassen sich auch die Löhne in den Industrieländern drücken. Die Reallöhne in der Dritten Welt und in Osteuropa sind bis zu 70-mal niedriger als in den USA, Westeuropa und Japan. Praktisch alle Berufsgruppen, auch hoch qualifizierte und wissenschaftliche Berufe, sind davon betroffen.
Während die herrschende ökonomische Lehre die »effiziente Verteilung knapper Ressourcen« einer Gesellschaft betont, dementieren die bitteren sozialen Realitäten die Konsequenzen dieser Verteilungslogik. Fabriken werden geschlossen, kleine und mittlere Unternehmen werden in den Bankrott getrieben, qualifizierte Arbeitnehmer und Staatsbedienstete entlassen. Im Namen der »Effizienz« liegen Humankapital und Produktionsstätten brach. Der unerbittliche Druck zur »effizienten« Nutzung der gesellschaftlichen Ressourcen auf mikroökonomischer Ebene führt zur genau entgegengesetzten Situation auf der makroökonomischen Ebene. Der moderne Kapitalismus scheint völlig unfähig zu sein, diese ungenutzten menschlichen und materiellen Ressourcen zu mobilisieren.

Reichtum durch spekulative und kriminelle Geschäfte. 
Diese globale wirtschaftliche Umstrukturierung fördert die Stagnation des Angebots notwendiger Güter und Dienstleistungen, während sie Investitionen in die lukrative Luxusgüterindustrie umlenkt. Statt auf produktive Wirtschaftstätigkeit konzentriert sich die Kapitalbildung zunehmend auf spekulative und betrügerische Transaktionen, die wiederum Störungen auf den großen Finanzmärkten der Welt verursachen.
Eine privilegierte Minderheit hat große Reichtümer auf Kosten der großen Mehrheit der Weltbevölkerung angehäuft. Die Zahl der Milliardäre allein in den USA stieg von 13 im Jahr 1982 über 149 im Jahr 1996 auf über 300 im Jahr 2000. Der globale Club der Milliardäre – mit etwa 450 Mitgliedern – verfügt über ein weltweites Gesamtvermögen, das deutlich über dem Bruttosozialprodukt der Gruppe der einkommensschwächsten Länder liegt, wo 59 Prozent der Weltbevölkerung leben. Der private Reichtum der Familie Walton aus Arkansas etwa, der die Einzelhandelskette Wal-Mart gehört (85 Mrd. Dollar) – einschließlich der Erbin Alice Walton und der Brüder Robson, John, Jim und Mutter Helen – ‚ ist mehr als doppelt so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt von Bangladesch (33,4 Mrd. Dollar) mit einer Bevölkerung von 127 Millionen Menschen und einem Pro-Kopf-Einkommen von 260 Dollar im Jahr.
Darüber hinaus vollzieht sich die Kapitalakkumulation zunehmend außerhalb der realen Ökonomie, nicht durch produktive und kommerzielle Wirtschaftstätigkeit: »Erfolge am Aktienmarkt der Wall Street (also Spekulationsgewinne durch Aktienhandel) waren für den größten Teil der Zunahme von Milliardären im letzten Jahr (1996) verantwortlich.« Zugleich fließen Milliarden von Dollar aus spekulativen Transaktionen auf geheime Nummernkonten in den mehr als 50 Steueroasen auf der ganzen Welt. Nach einer konservativen Schätzung der US-Investmentbank Merrill Lynch beträgt der Reichtum von Privatpersonen auf privaten Bankkonten in Steueroasen 3,3 Billionen Dollar. Der IWF beziffert das Vermögen von Konzernen und Privatpersonen in Steueroasen auf schätzungsweise 5,5 Billionen Dollar, eine Summe, die sich auf 25 Prozent des gesamten Welteinkommens beläuft. Die weitgehend illegal erworbenen Reichtümer der Eliten der Dritten Welt auf Nummernkonten wurden in den 90er Jahren auf 600 Mrd. Dollar geschätzt, davon ein Drittel in der Schweiz.
Die »Marktreformen« begünstigen die Zunahme illegaler Aktivitäten und die Internationalisierung der Verbrechenswirtschaft. In Lateinamerika und Osteuropa konnten kriminelle Syndikate durch die von der Weltbank geförderten Privatisierungsprogramme illegale Mittel in den Erwerb von Staatseigentum investieren. Den Vereinten Nationen (UN) zufolge betragen die Einkünfte transnationaler Verbrecherorganisationen weltweit etwa eine Billion Dollar, das entspricht dem Bruttosozialprodukt der Gruppe der ärmsten Länder mit einer Bevölkerung von drei Milliarden Menschen. Diese UN-Schätzung schließt den Drogen- und Waffenhandel und den Schmuggel von Nuklearmaterial ein, ebenso wie die Gewinne aus der von der Mafia kontrollierten Dienstleistungsökonomie (z.B. Prostitution, Glücksspiel, Wechselstuben usw.). Was diese Zahlen nicht angemessen vermitteln, ist die Größenordnung der Investitionen
krimineller Organisationen in die legale Wirtschaft und die beträchtliche Organisationen in die legale Wirtschaft und die beträchtliche Kontrolle, die sie über reguläre Unternehmen gewonnen haben.
Kriminelle Gruppen arbeiten regelmäßig mit solchen Unternehmen zusammen und investieren in eine Vielzahl legaler Aktivitäten, die nicht nur einen Deckmantel für Geldwäsche bieten, sondern auch einen bequemen Weg darstellen, Reichtum außerhalb der kriminellen Ökonomie anzuhäufen. Einem Beobachter zufolge »erzielen organisierte Verbrechergruppen bessere Ergebnisse als die meisten Fortune 500-Unternehmen… mit Organisationen, die eher General Motors ähneln als der traditionellen sizilianischen Mafia«. Vor einem Unterausschuss des US-Kongresses erklärte FBI-Direktor Jim Moody, dass kriminelle Organisationen in Russland »mit ausländischen Verbrechergruppen zusammenarbeiten, darunter italienischen und kolumbianischen… Der Übergang zum Kapitalismus (in der ehemaligen Sowjetunion) bot neue Gelegenheiten, die rasch von kriminellen Organisationen ausgenutzt wurden.«

Die Krise der Überproduktion und die Verdrängung der Kleinproduzenten. 
Die Expansion der Produktion im globalen Kapitalismus verdankt sich der Minimierung der Beschäftigung und Löhne. Dadurch sinkt allerdings die Verbrauchernachfrage nach notwendigen Waren und Dienstleistungen. Einer unbegrenzten Produktionskapazität steht eine begrenzte Konsumkapazität gegenüber. Die Folge dieses Missverhältnisses ist Überproduktion in nie gekanntem Ausmaß. Die Unternehmen können in diesem System also nur expandieren, wenn gleichzeitig Produktionskapazität beseitigt wird, d.h. »überschüssige« Unternehmen Bankrott gehen und liquidiert werden. Wenn aber ganze Industriezweige brach fallen, erwirtschaften die davon betroffenen direkten Erzeuger kein Einkommen mehr, mit dem sie am Warenreichtum partizipieren könnten. Entgegen dem von der herrschenden ökonomischen Lehre verkündeten Theorem Jean Baptiste Says schafft Angebot nicht seine eigene Nachfrage. Seit den frühen 80er Jahren hat die Überproduktion von Gütern zu einem starken Verfall der (realen) Preise geführt, mit vernichtenden Konsequenzen besonders für die Rohstoffproduzenten, aber auch den Fertigungssektor in der Dritten Welt.
In den Entwicklungsländern werden ganze Industriezweige, die für den Binnenmarkt produzieren, auf Anordnung der Weltbank und des IWF in den Bankrott getrieben. Der informelle urbane Sektor – der historisch eine wichtige Rolle bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze spielte – wird als Folge von Währungsabwertungen, der Liberalisierung von Importen und der Überschwemmung der heimischen Märkte durch – zum Teil hoch subventionierte – Erzeugnisse aus den Industrieländern unterhöhlt.
Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Stagnation bzw. eines Minuswachstums in Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion und den Subsaharaländern verzeichnen die größten Konzerne der Welt ein beispielloses Wachstum und konnten ihren Anteil am Weltmarkt in nie gekannter Weise ausdehnen. Dieser Prozess vollzieht sich jedoch weitgehend durch die Verdrängung vorhandener Produktionskapazitäten, d.h. auf Kosten lokaler regionaler und nationaler Produzenten.
Sofern kleine und mittelgroße Unternehmen »vor Ort« in den Bankrott getrieben werden, sind sie gezwungen, für globale Großhändler zu produzieren, während große multinationale Konzerne durch das System der Lizenzvergabe die Kontrolle über die lokalen Märkte erlangen. Kapitalkräftige Großunternehmen (die Lizenzgeber) gewinnen auf diese Weise die Kontrolle über menschliche Ressourcen, billige Arbeitskräfte und das örtliche Unternehmertum und eignen sich so einen großen Teil des Einkommens kleiner lokaler Firmen und/oder Einzelhändler an, während der unabhängige Produzent (der Lizenznehmer) einen Großteil der Investitionen tragen muss.
Ein paralleler Prozess lässt sich auch in Westeuropa beobachten. Die politische Umgestaltung der Europäischen Union (EU) im Rahmen des Maastrichter Vertrags begünstigt zunehmend die herrschenden Finanzinteressen auf Kosten der Einheit der europäischen Gesellschaften. Die Staaten fördern bewusst die Bildung privater Monopole; das Großkapital zerstört das Kleinkapital in allen seinen Formen. Durch den Druck zur Bildung einheitlicher Wirtschaftsblöcke in Europa und Nordamerika werden regionale und lokale Unternehmer an die Wand gedrückt, das Wirtschaftsleben in den Städten verändert sich grundlegend, weil das Kleinunternehmertum verdrängt wird. Der »freie Handel« und die wirtschaftliche Integration verschaffen globalen Unternehmen größere Mobilität, während beides zugleich durch institutionelle Barrieren die Bewegung des kleinen, lokalen Kapitals verhindert. Die von Großunternehmen dominierte wirtschaftliche Integration fördert unter dem Anstrich politischer Einheit häufig soziale Gegensätze und Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb nationaler Gesellschaften.

Konsens und Krieg. 
Diese hier nur angedeuteten Prozesse werden getragen von einem Konsens, der in wahrhaft überwältigender Weise hegemonial geworden ist und dem die Regierungen auf der ganzen Welt vorbehaltlos verpflichtet sind: dem Neoliberalismus. Allüberall werden die gleichen ökonomischen Rezepte befolgt. Unter der Schirmherrschaft von IWF, Weltbank und WTO schaffen die marktliberalen Reformen günstige Bedingungen für global operierende Banken und multinationale Konzerne. Tatsächlich jedoch handelt es sich gar nicht um ein System »freier« Märkte: Trotz der neoliberalen Rhetorik nämlich stellen die von IWF und Weltbank eingeforderten »strukturellen Anpassungsprogramme« nur einen neuen interventionistischen Rahmen dar.
Denn die 1944 in Bretton Woods geschaffenen Institutionen des IWF und der Weltbank sowie die 1995 gegründete WTO sind Bürokratien, Regulierungsinstitutionen, die unter einem zwischenstaatlichen Schirm zugunsten mächtiger wirtschaftlicher und finanzieller Interessen operieren. Hinter diesen globalen Institutionen stehen Wall-Street-Banker und die Chefs der weltgrößten Wirtschaftskonzerne. An ihren Treffen und Konsultationen hinter verschlossenen Türen nehmen außerdem die Repräsentanten mächtiger globaler Wirtschaftslobbys teil, darunter der Internationalen Handelskammer (ICC), des Trans Atlantic Business Dialogue (TABD) – die bei ihren jährlichen Zusammenkünften die größten westlichen Konzerne mit Politikern und WTO-Vertretern zusammenbringen – ‚des United States Council for International Business (USCIB), des Internationalen Wirtschaftsforums in Davos (bzw. im Januar 2002 erstmals in New York), des in Washington beheimateten Institute of International Finance (IIF), das die größten Banken und Finanzorganisationen der Welt repräsentiert, sowie anderer Organisationen. Weitere, halb verdeckt arbeitende Organisationen, die eine wichtige Rolle bei der Formung der Institutionen der Neuen Weltordnung spielen, sind z.B. die Trilaterale Kommission, die Bilderberg-Gruppe und der Council on Foreign Relations (CFR).
Die makroökonomischen Reformen und die fortwährend radikalisierte Handelsliberalisierung, die dieses mächtige Konglomerat der Globalisierungsagenten erzwingt, fördern die »friedliche« Rekolonialisierung von Ländern durch bewusste Manipulation der Marktkräfte. Obwohl dazu kein offener Einsatz von Gewalt erforderlich ist, stellt die rücksichtslose Durchsetzung dieser Wirtschaftsreformen dennoch eine Form der Kriegführung dar. In diesem allgemeineren Sinne sind Krieg und Globalisierung keine getrennten Probleme.
Was geschieht mit Ländern, die sich weigern, sich den westlichen Banken und multinationalen Konzernen zu öffnen, wie es die WTO verlangt? Militär und Geheimdienste des Westens pflegen den Kontakt zum Finanzestablishment. Die internationalen Finanzinstitutionen arbeiten auch mit der NATO und ihren verschiedenen »Friedens«-Missionen zusammen, ganz zu schweigen von der Finanzierung des dann fälligen Wiederaufbaus.
Zu Beginn des dritten Jahrtausends gehen Krieg und »freie Märkte« Hand in Hand. Der Krieg ist gewissermaßen das multilaterale Investitionsabkommen der letzten Instanz. Er zerstört physisch, was durch Deregulierung, Privatisierung und die Erzwingung von »Marktreformen« noch nicht vernichtet wurde. Direkte kriegerische Kolonialisierung und die Errichtung westlicher Protektorate erfüllen de facto den Zweck, westlichen Banken und multinationalen Konzernen ungehinderten Zugang zu den betreffenden Märkten zu verschaffen, so dass sie – wie in den Bestimmungen der WTO verlangt – global wie auf einem nationalen Markt agieren können. Die »Raketendiplomatie« von heute wiederholt die Kanonenbootdiplomatie, die im 19. Jahrhundert zur Durchsetzung des »Freihandels« diente. Nach den Opiumkriegen warnte Caleb Cushing, der 1844 von den USA nach China entsandt worden war, um die Öffnung der chinesischen Häfen auszuhandeln, die kaiserliche Regierung Chinas, dass »die Weigerung, den amerikanischen Forderungen nachzukommen, als Einladung zum Krieg aufgefasst werden könnte«.
Entwaffnet die Neue Weltordnung! Die Ideologie des freien Marktes stützt neue und brutale Formen staatlicher und suprastaatlicher Intervention, die auf der bewussten Manipulation von Marktkräften beruhen. Die Bedingungen des WTO-Abkommens zur Sicherung des freien Handels sichern tatsächlich die Rechte der weltgrößten Banken und multinationalen Konzerne. Dagegen verlieren die Bürger in den einzelnen Ländern das Recht auf politische Beteiligung, weil die Durchsetzung internationaler Handelsabkommen durch die WTO auf nationaler und internationaler Ebene in keiner Weise demokratisch legitimiert ist. So drohen die Vereinbarungen der WTO die nationalen Gesellschaften zu entmachten, während sie das internationale Finanzestablishment mit ausgedehnten Befugnissen ausstatten. Der Neoliberalismus mit seiner Rhetorik der »guten Regierungsführung« (good governance) und des freien Marktes bietet den Herrschenden eine nur fadenscheinige Rechtfertigung.
Die Neue Weltordnung basiert auf dem »falschen Konsens« von Washington und Wall Street, der das System freier Märkte als einzige mögliche Wahl auf dem schicksalhaften Weg zu globalem Wohlstand verordnet. Alle politischen Parteien, einschließlich der Grünen, der Sozialdemokraten und der ehemaligen Kommunisten, heulen heute mit im Rudel derjenigen, die diese Neue Weltordnung beschwören.
Auf die Globalisierungsskeptiker die sich in den letzten Jahren immer vernehmlicher zu Wort gemeldet haben und nun anfangen, die Festung des G8-Kartells zu bestürmen, kommen in Zukunft schier unlösbare Aufgaben zu. Sie müssen die hinterhältigen Verbindungen von Politikern und Vertretern der internationalen Finanzorganisationen aufdecken. Sie müssen alles daransetzen, staatliche Institutionen und zwischenstaatliche Organisationen aus der Umklammerung des Finanzestablishments zu befreien. Sie müssen der eklatanten Konzentration von Eigentum und privatem Reichtum entgegentreten, dem spekulativen Handel und der Geldwäsche Hindernisse in den Weg legen, Steueroasen austrocknen, für den Wiederaufbau des Wohlfahrtsstaats kämpfen. Sie müssen eine breite Koalition mit der Friedensbewegung eingehen, da das Militär, die Aufrüstung und die Sicherheitsdienste des Westens nicht nur unmittelbar den Weltfrieden bedrohen, sondern grundsätzlich auch die herrschenden Wirtschafts- und Finanzinteressen stützen. Sie müssen den globalen Medien und den von ihnen fabrizierten Nachrichten, mit denen die Weltereignisse verzerrt dargestellt werden, eine eigene Öffentlichkeit entgegenstellen, um das »falsche Bewusstsein«, das unsere Gesellschaften durchdringt und kritische Debatten im Ansatz erstickt, aus den Köpfen zu vertreiben.
Wir müssen diesen Kampf auf breiter Linie führen – in allen Ländern und in allen Gesellschaftsbereichen. Wir müssen uns über nationale, ethnische und soziale Grenzen hinweg verständigen, vernetzen und vereinigen. Wir müssen auf beispiellose Weise solidarisch und international handeln und der Wall-Street-Globalisierung die Globalisierung unseres Widerstandes entgegensetzen. Um die Armut zu beseitigen und einen dauerhaften Weltfrieden zu sichern, müssen wir die Neue Weltordnung entwaffnen.